Path: ...!goblin2!goblin.stu.neva.ru!weretis.net!feeder1.news.weretis.net!news.szaf.org!xerxes.akallabeth.de!not-for-mail From: Thomas Hochstein Newsgroups: de.soc.recht.strafrecht Subject: Spezielle Fragen der nachtraeglichen Gesamtstrafenbildung (was:Frage zu Verena Becker) Date: Thu, 31 Dec 2009 11:41:08 +0100 Organization: Sztable of the Szlauszaf Lines: 128 Message-ID: References: NNTP-Posting-Host: thorondor-wlan.akallabeth.de Mime-Version: 1.0 Content-Type: text/plain; charset=ISO-8859-1 Content-Transfer-Encoding: 8bit X-Trace: xerxes.akallabeth.de 1262256845 3125 10.0.0.105 (31 Dec 2009 10:54:05 GMT) X-Complaints-To: abuse@akallabeth.de NNTP-Posting-Date: Thu, 31 Dec 2009 10:54:05 +0000 (UTC) Cancel-Lock: sha1:irs7urC2FV13lGZDul9MzhJtkIE= X-Uptime: 3 day(s), 17 hour(s), 2 minute(s), 45 second(s) [thorondor | 58451] User-Agent: ForteAgent/2.0-32.652 Hamster/2.1.0.11 Bytes: 7556 Stefan Schmitz schrieb: > Die Frau ist ja schon 1977 als Terroristen zu lebenslänglich > verurteilt worden. Sie ist wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden, ja. > Hätte man ihr damals schon eine Beteiligung am Buback-Mord nachweisen > können, wäre die Strafe dieselbe geblieben. Zumindest dann, wenn damals schon die heutige Rechtslage bestanden hätte, nach der aus mehreren lebenslangen Freiheitsstrafen oder mindestens einer lebenslangen und zeitigen Freiheitsstrafen als Gesamtstrafe lebenslange Freiheitsstrafe zu bilden ist. Das ist offenbar seit 1986 der Fal. Zuvor wurden ggf. mehrere lebenslange Freiheitsstrafen ausgeurteilt. > Daher finde ich es befremdlich, dass ihr jetzt wegen dieses alten > Falls nochmal eine Haftstrafe droht. Die Gesamtstrafe für mehrere > Taten sollte gleich hoch sein, egal ob sie gleichzeitig oder in > längerem Zeitabstand abgeurteilt werden. Das ist sie ja auch grundsätzlich, vgl. § 55 StGb: es wird dann eine nachträgliche Gesamtstrafe gebildet. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Strafe noch nicht vollständig verbüßt wurde. Falls die Strafe bereits vollständig verbüßt wurde - was hier der Fall ist, weil die Verurteilte schon nach Verbüßung von nur 12 Jahren Freiheitsstrafe begnadigt wurde -, ist grundsätzlich ein angemessener Härtefallausgleich zu bilden. Die Rechtsprechung stellt die Vorgehensweise dabei im wesentlichen frei; üblich war es bis zur Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen vom 17.01.2008 [1], eine fiktive Gesamtstrafe zu bilden, dann den verbüßten Teil - nicht aber erlassene oder verjährte Zeiträume! - abzuziehen und sodann die verbleibende Strafe auszuurteilen. Dabei dürfen Mindeststrafen unterschritten werden. [1] vgl. dazu auch . Beispiel: Verurteilung zu Freiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten, Entlassung nach 2/3 der Haftzeit auf Bewährung, mithin 1 Jahr verbüßt. Später, nach Ablauf der Bewährungszeit, neue Verurteilung wegen einer vor dem ersten Urteil liegenden Tat, die daher gesamtstrafenfähig wäre; die tat- und schuldangemessene Strafe wäre hier eine Verurteilung zu Freiheitsstrafe von 4 Jahren. Nunmehr wird eine "fiktive" Gesamtstrafe gebildet - sagen wir: 4 Jahre 9 Monate -, davon wird das verbüßte Jahr abgezogen, ausgeurteilt werden 3 Jahre 9 Monate. Bei lebenslanger Freiheitsstrafe ist (war?) eine solche Lösung nach ständiger, auch vom BVerfG im Grundsatz gebilligter [2] Rechtsprechung nicht möglich, da die lebenslange Freiheitsstrafe als absolute Strafe ausgestaltet ist. Die darin liegende Härte hat der Verurteilte, der sich einer besonders schweren Straftat schuldig gemacht hat, hinzunehmen. [2] Nichtannahmebeschluß der 3. Kammer des 2. Senats vom 29.01.2007 - 2 BvR 2025/06 - gg. die Beschwerdeentscheidung des Saarländischen OLG vom 17. August 2006 - 1 Ws 106/06 -. Demnach hätte vorliegend die Beschuldigte also ggf. eine erneute lebenslange Freiheitsstrafe zu verbüßen. Der 5. Senat des BGH hat nunmehr allerdings in ganz aktuellen Entscheidungen [3] anklingen lassen, daß er zukünftig eine Anwendung der durch den Beschluß des Großen Senats für Strafsachen [4] eingeführten sog. "Vollstreckungslösung" für die Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen auch auf den Härteausgleich für eine nicht mehr mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung für denkbar hält, auch im Falle einer Anordnung lebenslanger Freiheitsstrafe. Er hat in diesen Entscheidungen allerdings auch ausgesprochen, daß im konkreten Fall jeweils ein Härteausgleich nicht veranlasst war, weil der Verurteilte bei Einbeziehung der bereits verbüßten Strafen mit der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld hätte rechnen müssen, die ihm durch die nicht mehr mögliche Einbeziehung erspart blieb, so daß insofern keine auszugleichende Härte vorlag. Allerdings waren die verbüßten Vorstrafen auch niemals annähernd lebenslange Freiheitsstrafen. [3] BGH, Beschluß vom 23.07.2008 - 5 StR 293/08 -; BGH, Beschluß vom 28.05.2009 - 5 StR 184/09 - [4] Beschluß des Großen Senats für Strafsachen vom 17.01.2008 - GSSt 1/07 -, siehe auch Fn. [1] Sollte es zu einer weiteren Verurteilung der Beschuldigten, welchen Namen sie derzeit auch immer trägt, kommen, darf man also einer Entscheidung über einen Härtefallausgleich gespannt entgegen sehen, weil damit Neuland in der Rechtsprechung betreten werden wird. Denkbar wäre bspw., die Beschuldigte zu lebenslanger Freiheitsstrafe zu verurteilen, aber 12 Jahre als verbüßt anzurechnen, so daß dann schon nach 3 Jahren über eine Bewährungsentlassung zu befinden wäre. Denkbar wäre ebenso, eine Anrechnung deshalb zu unterlassen, weil bei einer Einbeziehung auch dieser Tat die besondere Schwere der Schuld festgestellt worden wäre (solange das im ursprünglichen Urteil nicht ohnehin der Fall war - das kann hier aber nicht sein, weil die Gesetzeslage 1977 m.W. noch die zwingende Verbüßung der lebenslangen Freiheitsstrafe vorsah; die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung, aufgrund derer der Gesetzgeber dann §§ 57a, 57b StGB geschaffen hat, lag da m.W. (gerade?) noch nicht vor). Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld unter Einbeziehung der bereits verbüßten Straftat dürfte hingegen nicht in Betracht kommen. Zu denken wäre schließlich noch daran, weniger als 12 Jahre anzurechnen, eben weil die besondere Schuldschwere, die sonst festzustellen gewesen wäre, nicht mehr festgestellt werden kann; oder volle 12 Jahre anzurechnen und bei der Entscheidung nach § 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB durch das Vollstreckungsgericht einzubeziehen, daß die besondere Schuldschwere nicht festgestellt werden konnte; oder von einer Anrechnung im Erkenntnisverfahren zur Gänze abzusehen und die Entscheidung ausnahmsweise ins Strafvollstreckungsverfahren zu verlagern, wie der BGH in der in Fn. [3] bereits zitierten Entscheidung 5 StR 293/08 unter Bezug auf die in Fn. [2] zitierte verfassungsgerichtliche Rechtsprechung anklingen läßt. Ingesamt also ein sehr interessantes Feld. -thh -- Deutsches Bundesrecht: Juristische Informationstexte: Linkverzeichnis von Gesetzestexten: Verbreitete Gesetzestexte im Volltext: